Mining Ground, Digging Field

Der in Berlin lebende Maler und Zeichner Jens Hanke legt eine Serie großformatiger Kohlezeichnungen vor, die passenderweise mit einem Titel aus der Welt des Bergbaus betitelt ist – Bergwerk und Tagebau. Und in diesen Arbeiten geht es tatsächlich darum, etwas ans Tageslicht zu befördern: Rohstoffe der Fantasie.

Man kann die Zeichenserie durchaus als Folge von Capriccios auffassen, als Fortsetzung jener schillernden Gattung, die seit dem 17. Jahrhundert die europäische Graphik bereichert. Hierbei gehören die Zeichnungen dem eher seltenen Genre des Landschafts-Capriccios an. Hankes Zeichnungen sind zugleich rätselhaft und verspielt. Die Landschaften haben wenig Natürliches an sich. Sie scheinen unbelebt und sind doch voll expressiver Bewegung. Handelt es sich bei der Baumgruppe nicht eher um eine Explosionswolke? Sind jene aufragenden Metallplatten nicht dabei, in rasender Fahrt eine Seeoberfläche zu durchfurchen? Durchschneiden archaisch wie futuristisch anmutende Konstruktionen nicht die Landschaft, um bald mit einem lauten Knall zu explodieren? Der Untergang scheint nahe und wie eine unerbittliche Kettenreaktion abzulaufen. Die Ruhe und Statik, die die Blätter auf den ersten Blick ausstrahlen, wandelt sich in eine geradezu apokalyptische Dynamik, die wie ein stiller Schrei das Blatt zerreißt.

Die Bildtitel scheinen ebenfalls von einem gefahrvollen Weg zu sprechen: von dem Abstecken des Eigenen und der Suche nach dem Anderen. Dieser Weg ist von heftigen Detonationen und Deformationen begleitet. Fast erscheinen die Blätter wie Illustrationen einer Science-Fiction-Geschichte oder Bilder eines Abenteuerspiels in Computeranimation. Gefallene Sterne liegen wie Raumschiffe in der weiträumigen Landschaft. Geometrische Großformen scheinen ein Terrain zu überwuchern und dabei heillose Verwüstung anzurichten.

Albtraumhafte Szenerien entwickeln sich vor dem Auge des staunenden Betrachters, wobei alles im Rahmen einer bestechenden Ästhetik und Stilisierung bleibt. Ganze Stücke werden aus dem Grund gerissen und zu neuen Formationen aufgetürmt, die wie von einer unbekannten, der Materie ihren Willen aufzwingenden Macht beherrscht scheinen. Ist kein höheres Leben auf den Zeichnungen auszumachen, so hat doch die Verwüstung System und eigene Regeln, die eine übernatürliche Intelligenz zu steuern scheint. Der Ausgang allerdings bleibt ungewiss.

Die Zeichentechnik ist virtuos eingesetzt, variiert in den einzelnen Blättern aber erheblich. Klare Linearität kontrastiert mit verwischten Kohlestrichen, so dass keine Einheit in der Vielfalt zu entdecken ist. Entsprechend verändern sich die Stimmungswerte und unterstützen das „kapitelweise“ Konsumieren der Blätter, was die geradezu literarische Qualität der Arbeiten ausmacht. Hanke nimmt seinen Betrachter mit auf eine weite Reise in eine Welt, die von stiller Gewalt und Vergewaltigung der Natur geprägt ist. Einsam stehen wir vor den entfesselten Kräften, die hier planmäßig wie sinnlos zu walten scheinen.

Jens Hanke nutzt in seinen Kohlezeichnungen das Potenzial der Kunst, fremde Welten zum Leben zu erwecken und den Betrachter auf die Reise zu schicken in eine archaische und zugleich futuristische Landschaft apokalyptischen Zuschnitts.

 

Dr. Martin Steffens