A Twisted Mind Was Left Alone

Eine 2010 begonnene Serie von Arbeiten des Künstlers Jens Hanke verbindet nach dem Prinzip der Collage seine jüngsten zeichnerischen Ansätze mit einem Rückgriff auf frühere, malerische Arbeitsweisen. Ausgehend von der in Kohle gezeichneten Serie Synapsale Nachbilder entstehen nun kompaktere "Klone" oder auch "zweieiige Zwillinge". Hierzu übernimmt Hanke die ursprünglichen Kompositionen und Raumkörper mittels einer simplen, manuellen Kopiertechnik. Gelungene Formfindungen werden dabei durchaus mehrfach dupliziert und unterschiedlich weiterverarbeitet, wobei Variationen über einen möglichen Raum entstehen. Bestehen die früheren, reinen Zeichnungen aus "skelettartigen" Umrisslinien (die vom Betrachter erst in räumliche Gebilde weitergedacht werden), so treten die neuen Blätter mit opulenten Volumina und körperhafter Präsenz scheinbar deutlicher aus der Bildfläche heraus. Größe und Komposition sind den jeweils einzelnen Werken dabei – wie gesagt – gemein.

Wie bei kostbaren Intarsienarbeiten lässt Jens Hanke durch mit Ölfarbe bemalte Papierabschnitte abstrakte räumliche Gebilde entstehen. Das eingesetzte, vom Künstler gestaltete Papier hat trotz seiner Musterungen keine stark changierenden Farbverläufe, wirkt aber in seiner Textur kostbar. Wie bei geschliffenen Steinschnitten bildet Hanke komplexe Strukturen innerhalb eines Farbspektrums. Durch eine Verkantung der präzise eingepassten Abschnitte und eine Kombination verschiedenfarbiger Papiere werden einzelne oder auch alle durch die vorgegebenen Linien gebildeten Zwischenräume gefüllt. So entstehen neue Konglomerate aus Flächen und Linien, welche die bei den älteren Zeichnungen nur zu erahnende Dreidimensionalität nunmehr einzulösen scheinen. Zwar herrscht weiterhin eine Reduktion auf die beiden Dimensionen des Papiers vor. Doch weitaus plakativer werden nun dreidimensionale Illusionen erzeugt. Die räumliche Staffelung der zum Teil alogisch konstruierten Gebilde wird zuweilen verschleiert, an anderen Stellen aber pointiert ausgekostet. Die räumlich erscheinende Position von Farbflächen im virtuellen Raum des Papiers nutzt Hanke, um das "Davor" oder "Dahinter" zu behaupten, ohne es doch logisch einlösen zu können.

Bestechen die reinen Zeichnungen durch einen eher gedanklichen Reichtum (der ausgerechnet durch die Reduktion pointiert wird), so sind die neuen, farbigen Varianten von einer hybriden Opulenz gekennzeichnet – ohne dabei aber die stringente Arbeitsweise Jens Hankes zu negieren. Wie in der Architektur Ludwig Mies van der Rohes, der etwa beim Barcelona-Pavillon Geradlinigkeit, Transparenz und Klarheit der Form mit dem luxuriösen Einsatz von Naturstein (z. B. dem Onxy) zu einem bedeutungsvollen Zusammenklang verspannte, so sind es auch bei Hanke die scheinbar simplen Linienführungen, die mit einer komplexen Textur zu einer neuen Einheit zusammenstimmen. Der behauptete Bezug von Hankes Collagen zur Architektur ist bei zahlreichen seiner Arbeiten erhellend, geht es doch um das Erschaffen von Raumgebilden, räumlichen Abfolgen, die dem Auge des Betrachters einen Ort zum Verweilen und kultivierten Staunen bieten. Mittels geschickter Perspektivanwendungen werden Zusammenhänge ebenso rasch konstruiert wie dekonstruiert.

Mit A Twisted Mind Was Left Alone ist eine Serie entstanden, die gleichberechtigt und selbständig neben den verwandten Kohlezeichnungen steht. Jene werden durch die neuen Interpretationen keineswegs obsolet. Die neuen Arbeiten erscheinen als kongeniale, eigenständige Variationen über ein gegebenes Thema.

 

Dr. Martin Steffens