Island Me - Eine Serie von Jens Hanke

Mit Island Me setzt der Maler und Zeichner Jens Hanke seine Arbeit im Medium Zeichnung konsequent fort, nicht ohne dabei verstärkt malerische Arbeitsweisen zu integrieren. In einer Art Weiterführung der Serien mining ground, digging field und Synapsale Nachbilder von 2009/11 entstehen nun Zeichnungen, die oft das übliche Format einer grafischen Arbeit sprengen.

Die Bildräume werden größer und verteilen sich dabei auf bis zu drei Blätter, die zusammengesetzt eine ausgesprochene Monumentalität entwickeln. Diese Wirkung einer unaussprechlichen Größe war bereits in den älteren Serien angelegt, in denen es in aller Regel schwer fiel, den Maßstab und die Relationen des „Dargestellten“ zu ermessen. Die häufig genug nur unzureichend definierten „Gegenstände“ und „Figurationen“ ließen sich als mikroskopisch kleine oder auch megalomanische Strukturen deuten – selbst wenn selten eine klare Aussage über die tatsächliche Natur des Abgebildeten zu machen war.

Mit Island Me bleibt Jens Hanke der Gattung einer imaginären Landschaft treu. Sowohl der Serientitel als auch die Bezeichnungen der einzelnen Blätter deuten darauf hin, dass die Subjektivität des Verfassers bei der Kunstwerdung eine wichtige Rolle spielt. Es geht auch weiterhin nicht um das Abbild einer äußeren, sichtbaren und rational zu erschließenden Welt; emotionale Impulse und autobiographische Reflexe brechen sich Bahn. Island Me – die eigene, isolierte Identität – bezieht sich dabei nicht nur auf den künstlerischen Urheber. Auch der Betrachter ist in der unbelebten Szenerie auf sich allein gestellt; er wird auf sich und die eigenen Empfindungen zurückgeworfen.

Nicht nur die Größe einiger Arbeiten ist neu. Gerade auch der Umgang mit dem Material, der Zeichenkohle, ist stärker von Experimenten geprägt. Die Arbeit Open Up the Gates lebt vom Spiel aus Konstruktion und Verwischungen. Präzise Linien lassen eine komplizierte Wehranlage aufscheinen, die die Energie der dahinter gestauten Wassermassen hält – um sie (wie der Titel suggeriert) bald freizugeben. Entsprechend dynamisch ist der Bildaufbau. Durch unterschiedlich dichten Auftrag von Kohlepigmenten entstehen klar definierte Bereiche, andere Stellen sind durch Radierungen oder Verwischungen geradezu aufgelöst. Die ohnehin fragliche Realität des Abgebildeten wird noch einmal deutlich in Frage gestellt; dies aber zugunsten einer hohen malerischen, nicht mehr nur linearen Wirkung. Trotz der doppelten Desillusionierung des absurd Konstruierten und als Zeichnung Entlarvten lässt sich ein räumlicher Sog in die Bildtiefe nicht vermeiden. Die gestische Verwischung scheint die persönliche Einbindung nur noch zu verstärken.

Weitere Arbeiten treiben das Auflösen des Bildraumes noch weiter voran. Die Zeichnung Decisions Were Made at a Much Higher Level etwa löst den Bildraum weitgehend von der Aufgabe einer bildlichen Wiedergabe. Ein Horizont ist höchstens angedeutet, eine räumliche Staffelung mehr durch das Liniengeflecht angedeutet. Obwohl ein klassischer Bildaufbau von Vorder-, Mittel- und Hintergrund suggeriert wird, deutet auch diese Zeichnung eher auf das hin, was sie ist: Abrieb auf Papier, der erst im Kopf des Betrachters eine räumliche Zuordnung erfährt.

Gerade die mehrteiligen Arbeiten sind aufregend neu im Oeuvre von Jens Hanke. Wandfüllende Arbeiten sind zwar schon häufiger in seinem Schaffen (zum Teil in Zusammenarbeit mit Ulrike Dornis) entstanden. Neu ist aber der geradezu körperliche Sog, der etwa von der Arbeit Almost Too Late to Change Directions ausgeht. Begünstigt durch die Ausmaße der Zeichnung und durch einen suggestiven Bildaufbau, der an barocke Veduten aus der Vogelschau erinnert, verliert der Betrachter geradezu den Boden unter den Füßen. Fast scheint es, als würde man, von irdischer Schwere befreit, in den weiten Bildraum hineingesaugt. Und welche Vielfalt lässt sich hier entdecken! Eine terrassierte Landschaft, die an einen Tagebau erinnert und die heftige Wunden davongetragen hat. Doch sie hat nichts von ihrer urwüchsigen Kraft eingebüßt. Ob nun als natürliche oder gemachte Gestaltung, die Umgebung scheint gefährlich zu sein. Entfernt an technische Gerätschaften erinnernde Gebilde scheinen sich bei unserer Reise ins Bild gefährlich in den Weg zu stellen. Ist eine Kollision zu vermeiden? Werden wir schweben können oder abstürzen?

Es ist alles andere als harmlos, was uns in den Zeichnungen von Jens Hanke erwartet. Aber die spürbare Energie und formale wie inhaltliche Spannung, die in den Grafiken zum Tragen kommt, ist ungeheuer aufregend.

 

Dr. Martin Steffens